Mit den Rentnern ist es wie mit den Chinesen: Es gibt einfach zu viele davon. Das macht sie stark, was wiederum die Regierung, die es mit kräftigen Kontrahenten nicht gern zu tun hat, verunsichert und zu mitunter geradezu bockigen Reaktionen veranlasst. So sieht sie die Schuld für die Probleme m it der Rente natürlich bei den Rentnern mit ihrer wachsenden Zahl; dafür hat sie die Mär vom demografischen Faktor erfunden.Diese trägt sie wie eine Monstranz vor sich her und erklärt wider alle Warnungen, ein Systemwechsel – so gestern auch die Kanzlerin – komme überhaupt nicht in Frage.
Die Debatte lässt sich dadurch nicht aufhalten, denn Tatsachen setzen sich am Ende stets durch – in der Union manchmal sogar schneller als bei anderen. So war es vielleicht nur Wahlkampfkalkül, was den nordrhein-westfälischen CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, der sich nichtsdestotrotz gern einmal als »Arbeiterführer« geriert, zu seinen jüngsten Rentenvorschlägen veranlasste, vielleicht aber doch auch eine dunkle Ahnung,. dass der entfesselte Kapitalismus gerade dabei ist, das deutsche Rentensystem endgültig zu ruinieren. Bismarck hatte einst dem Profitsystem auf diesem Gebiet Zügel angelegt und das Umlageverfahren eingeführt, das über Kriege und Systemwechsel hinweg seine Leistungsfähgikeit bewies – bis eben das Kappen dieser Zügel schon durch Kohl und Blüm in ihrer Endphase, dann aber endgültig durch die so genannten Sozialdemokraten Schröder und Müntefering das Ende der gesetzlichen Rentenversicherung einleiteten.
In einer Zeit, wo immer weniger Menschen ihr ganzes Leben lang arbeiten und jene, die noch Arbeit haben, immer weniger Geld dafür erhalten, wird die alte Rentenformel außer Kraft gesetzt, beruht sie doch auf Beschäftigung als Regel und auf Entlohnung als Existenzsicherung. Beides ist nicht mehr gegeben, wenn die Arbeitgeber nach belieben heuern und feuern sowie die Löhne beinahe uneingeschränkt nach unten drücken können. Es ist demnach zum wenigsten der viel zitierte demografische Faktor, der die Probleme der Rentenversicherung schafft, sondern die ungerechte Verteilung der Erträge der Wirtschaft. Früher, als der Mensch eine wesentliche Komponente der Produktion war, musste er notgedrungen einigermaßen angemessen entlohnt werden, um seine Leistung zu erbringen. Heute jedoch, da seine Bedeutung im Produktionsprozess ständig sinkt, und statt dessen die Technik viel bedeutsamer für das Produktionsergebnis geworden ist, beansprucht der Unternehmer den so erwirtschafteten Gewinn allein für sich – und mehr noch: Er kämpft ständig darum, die dadurch ohnehin erheblich gesunkenen Lohnnebenkosten noch weiter zu reduzieren, indem er Arbeiter entlässt, die Löhne senkt und sich weigert, die Sozialbeiträge nach den bisherigen Regeln zu zahlen. Daraus erwachsen die Defizite der Rentenkasse; ein neues System müsste gerade hier ansetzen und grundsätzlich neue Wege gehen, anstatt an der alten Formel herumzudoktern.
Auch Rüttgers’ Vorschlag tut im Grunde nichts anderes, auch wenn er wenigstens darauf reagiert, dass das Festhalten am Alten eher über kurz als über lang zu Altersarmut führt. Ein grundsätzliches Umsteuern wagt auch er – da ganz unter den Rockschößen seiner Chefin – nicht , weil er dann an die Profite der Unternehmen herangehen müsste – und das kann man von der CDU wohl am wenigsten erwarten. Eine neue Rentenformel, die Altersarmut ausschließt, müsste von den Gewinnen der Wirtschaft ausgehen und von ihnen, in welcher Form auch immer, einen Teil für das Rentensystem in seiner Gesamtheit bereitstellen – eine wohl illusorische Hoffnung, solange eine große Koalition regiert und für diese das Wohlergehen der Unternehmen absolute Priorität hat. So also werden die Rentner weiterhin als ein Störfaktor behandelt werden, der umso unangenehmer ist, weil er schon zahlenmäßig immer weniger ignoriert werden kann. Für die Alten liegt darin ihre einzige Chance.
Hoffen wir`s, daß die Interessen der größer werdenen Zahl von Rentnern von der herrschenden Politik, genauer: von der durch den Neoliberalismus allgegenwärtig beherrschten Politik, künftig nicht mehr ganz ignoriert werden. Allzu hohe Erwartungen in die Einsichtsfähigkeit der bürgerlichen Politik (samt den Grünen) sollten hingegen nicht gehegt werden. Schließlich sind in der kapitalistischen Gesellschaft die Bürger insgesamt nur „Störfaktoren“, bestenfalls noch „Stimmvieh“ bei den Wahlen, das zusehends nicht mehr zur Wahl geht. Demokratie und Kapitalismus passen irgendwie nicht zusammen.