Ist Jürgen Walter Münteferings Geheimwaffe gegen Andrea Ypsilanti?

Kann es ein, dass jetzt, wo ein Erfolg der hessischen SPD-Vorsitzenden Andrea Ypsilanti bei der bevorstehenden Ministerpräsidentenwahl im Landtag immer wahrscheinlicher wurde, die Berliner Müntefering/Steinmeier-Führung der Partei aus der Deckung kommt? Und mit ihr die Parteirechten, die es natürlich auch in Hessen gibt – mit Jürgen Walter an der Spitze? Nachdem der Vorgänger Ypsilantis im hessischen SPD-Fraktionsvorsitz, der ihr dann bei der Bestimmung des Spitzenkandidaten für die Landtagswahl unterlag, bisher stets beteuert hatte, die ungeliebte Kollegin dennoch zur Ministerpräsidentin zu wählen, vollzog er nun eine Kehrtwendung. Er lehnte den Koalitionsvertrag ab und stimmte auf dem Landesparteitag dagegen, ließ jedoch im Ungewissen, ob dies auch die Ablehnung der Ministerpräsidentenkandidatin bedeute.

Die Art und Weise solchen ziemlich hinterhältigen Vorgehens trägt eindeutig die Handschrift des altneuen SPD-Bundesvorsitzenden Franz Müntefering, der wiederholt bewiesen hat, dass er um der Durchsetzung der eigenen politischen Ziele willen wenig zimperlich vorgeht; zuletzt beim Sturz seines Vorgängers Kurt Beck. Seinen eigenen anders lautenden Erklärungen sollte man da wenig trauen. Allerdings: Müntefering steckt in einem Dilemma, denn wie auch immer die Sache in Hessen kommende Woche ausgeht, kann er mit der derzeitigen Bundesführung nur verlieren. »Jetzt sitzen sie in Berlin und wissen gar nicht, vor welchem Ungeheuer sie mehr Angst haben sollen: vor der Skylla einer Wahl Ypsilantis oder der Charybdis ihres Scheiterns. Bekomme Frau Ypsilanti keine Mehrheit, so falle die hessische SPD in einen ›tiefen, tiefen Keller«, formuliert es ein Bundestagsabgeordneter. Werde sie aber gewählt, sei die strategische Lage für die Bundespartei ›noch schwieriger, als sie es ohnehin ist‹«, schrieb heute die Franfkurter Allgemeine Sonntagszeitung zutreffend. Müntefering muss also abwägen, was für ihn schlimmer ist, und wer seinen Weg der letzten Jahre gründlich analysiert – sein Adlatus Steinmeier kann da als williger Exekutor dessen, was sein jeweiliger Chef ihm vorsagt, getrost außer Betracht bleiben -, wer also verfolgt hat, wie der SPD-Chef tickt, der kann nicht ausschließen, dass er das Debakel einer Niederlage Ypsilantis und damit der Wiederbelebung Roland Kochs in Hessen für weniger schädlich für sein Verständnis »notwendiger« Politik ansieht, als ihren Erfolg, der seinen gesamten, langfristig vorbereiteten Kurs konterkarieren und ihn – sofern Rot-Grün in den nächsten Wochen durch die sukzessive Erfüllung des Koalitionsvertrages die Machbarkeit einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei in einem großen westdeutschen Bundesland nachweist – letztlich die Orientierung der Gesamtpartei auf eine unternehmerfreundliche Linie im Bundestagswahlkampf und damit faktisch auf die Fortsetzung der großen Koalition fast unmöglich machen würde.

Und das nicht aus dem Grunde, de die Koch-freundlich FASZ suggerieren will, dass nämlich manche Sozialdemokraten in Berlin fürchten, »dass die gewagte Konstruktion in Hessen gerade im Bundestagswahljahr 2009 aus dem Gleis springen und die SPD im Rest des Landes mit sich nehmen könne«, sondern eben wegen des schieren Gegenteils – dass Ypsilanti mit ihrem Programm sozialer und ökologischer Erneuerung, mit dem sie schon Koch eine schwere Wahlniederlage beigebracht hatte und das sie auch in den Koalitionsverhandlungen verteidigte, Erfolg haben könnte – eine sehnsüchtige Erwartung der übergroßen Mehrheit der Sozialdemokraten im ganzen Land.

Nicht zu dieser Mehrheit gehört erklärtermaßen Jürgen Walter; er begnügt sich in Hessen mit einer 4,7-Prozent-Minderheit, könnte aber dennoch zum Zünglein an der Waage werden. Bisher hat er – wohl auch aus Gründen der eigenen weiteren Karriere – auf die klare Positionierung verzichtet; wenn er sich jetzt aus der Deckung traut, stellt sich natürlich die Frage nach den Gründen. Und da fällt einem wohl nicht zufällig jenes fingierte Rundfunkinterview ein, bei dem ein Redakteur mit der Stimme Franz Münteferings bei Andrea Ypsilanti anfragte, ob sie sich ihr hessisches Vorhaben nicht gegen einen schönen Posten in Berlin abkaufen lassen wolle. Aus Wiesbaden kam damals eine klare Absage auf das unmoralische Angebot – doch weiß man, wie die Antwort eines Jürgen Walter ausfiele, wenn der richtige Müntefering am Telefon wäre und für den Fall, dass Walter mit seinem Votum bei der Ministerpräsidentenwahl erst Ypsilanti, dann aber auch sich selbst in Hessen unmöglich machte, einen Berliner Posten verspräche, zum Beispiel die schon Ypsilanti spaßhaft angetragene Funktion des Generalssekretärs? Nähme Walter die ganze Verantwortung auf sich, sollte es gewiss sein Schaden nicht sein.

Seit gestern jedenfalls ist die hessische Partei offener denn je. Hatten einige in der Bundesführung, aber auch in rechten Kreisen der Landes-SPD bislang noch gehofft, das Ypsilanti-Experiment könnte sich bereits im Vorfeld des Wahlakts tot laufen, fürchten sie nun sein Gelingen – und das gewiss weniger wegen der Mitwirkung der Linkspartei als um der inhaltlichen Weichenstellungen willen, die die Ministerpräsidentenkandidatin vorhat. Denn sie hat diesbezüglich ihre Wahlversprechen im wesentlichen gehalten – vielleicht gerade deshalb, weil andere dringend von ihr verlangten, sie zu brechen. Ganz nebenbei hat sie damit auch die Heuchelei entlarvt, die die Diskussion über gebrochene Wahlzusagen prägte. Schließlich waren es gerade die Berliner Großkoalitionäre CDU/CSU und SPD, die nicht nur leichthin das Versprechen aufgaben, miteinander natürlich nicht zu koalieren, sondern gleich auch noch einige andere Schwüre, so den sozialdemokratischen einer strikten Ablehnung der Mehrwertsteuererhöhung, vergaßen. Längst ist der Wortbruch Usus im politischen Geschäft, das möglicherweise anders auch gar nicht funktioniert. Wohin es führt, wenn man sich, um die eigene Prinzipienfestigkeit zu beweisen, letztlich handlungsunfähig macht, zeigte in Hessen die FDP, die mit SPD und Grünen leicht eine Regierung hätte bilden können – allerdings um den Bruch des vorherigen Wahlversprechens, dies nicht zu tun.

Die freidemokratische Standfestigkeit nützte nicht einmal der CDU, die nun sogar befürchtet, dass einige aus ihren Reihen für Ypsilanti stimmen könnten – und sei es nur mit der Hoffnung, sie anschließend grandios scheitern zu sehen, um dann bei Neuiwahlen einen umso fulminanteren Sieg für das »bürgerliche Lager« einfahren zu können. Dass manche in Hessens CDU offenbar so denken (denn dass es da Politiker gibt, die Ypsilanti tatsächlich helfen wollen, kann man wohl ausschließen), verrät einiges über deren Verfasstheit; sie können sich aufgrund ihrer ideologischen Scheuklappen und völlig im Einklang mit der eigenen Propaganda einfach nicht vorstellen, dass ein Bündnis, an dem »Kommunisten« auch nur indirekt beteiligt sind, erfolgreich ist. Die Klügeren in der CDU sind sich da nicht so sicher und möchten wohl allen derartigen Kamikaze-Aktionen vorbeugen. Deshalb würden sie ihren Abgeordneten die Teilnahme an der Abstimmung gern gleich ganz verbieten, was allerdings keinen sonderlich demokratischen Eindruck macht. Sie verletzen damit nicht nur den Grundsatz der geheimen Wahl, sondern verraten zugleich ein hohes Maß an eigener Unsicherheit. Nichts zeigt die Ohnmacht der Koch und Co. besser als derartige Überlegungen.

Und die Linkspartei? Von ihr ist kaum noch die Rede; auch das bezeichnend. Dabei hat sie allein durch ihre sechs Stimmen, auf die die mögliche neue hessische Ministerpräsidentin angewiesen ist, wohl viel zum für die heutige SPD wie die derzeitigen Grünen überraschend linken Koalitionsvertrag beigetragen. Wenn es ihr nun – die Wahl Andrea Ypsilantis vorausgesetzt – auch noch gelingt, bei den Koalitionären die Umsetzung des Papiers in praktische Politik immer wieder anzumahnen, hat sie schon viel erreicht – und das am besten auch künftig außerhalb jener Aufgeregtheiten, in die das hessische Experiment die etablierte Politik gestützt hat.

4 Replies to “Ist Jürgen Walter Münteferings Geheimwaffe gegen Andrea Ypsilanti?”

  1. Ja. Sie werden die Ypsilanti über die Klinge springen lassen. Ich glaube das es mindestens fünf Abweichler geben wird. Da mit ist keine Schuldzuweisung mehr möglich.

  2. Eines ist jedenfalls jetzt schon sicher, der kommende Dienstag wird ein besonderer werden, da in den USA ein neuer Präsident gewählt und damit ein acht Jahre währendes politisches Drama, das untrennbar mit dem Namen von George W. Bush verbunden ist, sein vorläufiges Ende finden wird und im Windschatten dieses Weltereignisses in Hessen eine Provinzposse ebenfalls zu einem vorläufigen Ende kommen wird – oder erst so richtig an Fahrt gewinnt. Ja, bei der bevorstehenden Ministerpräsidentenwahl im Hessischen Landtag in Wiesbaden sind die Unbekannten sogar noch um einiges größer als in der amerikanischen Bundeshauptstadt Washington.

    Für einen fernen Beobachter macht das widersprüchliche und unberechenbare Verhalten von Jürgen Walter nicht den Eindruck, daß man in Teilen der Hessen-SPD gewillt ist, einen im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltigen Politikwechsel einzuleiten bereit ist. Aber auch den Druck, der auf Walter zu lasten scheint, meinte man an seinem störischen Auftreten auf dem Sonderparteitag am Wochenende erkennen zu können.

    Denn es ist doch eher unwahrscheinlich, daß Walter lediglich auf eigene Rechnung seinen Zickzackkurs vollführt. Gut möglich also, daß hinter der erneuten Quertreiberei von Jürgen Walter auch der „häßliche Sauerländer“ Franz Müntefering als neuer-alter starker Mann der Bundes-SPD steckt. Was Wolfgang Clement kurz vor der Hessischen Landtagswahl bereits „erfolgreich“ erprobt hat, könnte Müntefering nun ein weiteres Mal versuchen; nämlich mit gezielten Attacken kurz vor einer wichtigen Entscheidung für den weiteren inhaltlichen Kurs der Partei auf rücksichtslose und unverantwortliche Art und Weise Einfluß nehmen und schon vorab Fakten der eigenen Art schaffen zu wollen. Ob Andrea Ypsilanti nun am kommenden Dienstag zur hessischen Ministerpräsidentin gewählt wird oder auch nicht, allzu viel politischen Handlungsspielraum oder gar Unterstützung aus den Reihen der Bundes-SPD darf sie nicht erwarten. Aber das tut sie wohl auch nicht.

    Und auch der Noch-Ministerpräsident Roland Koch und seine Mitstreiter und Kumpane in Partei und Wirtschaft werden nicht tatenlos geblieben sein; vielleicht braucht Jürgen Walter ja nicht einmal nach Berlin umzuziehen und sich auf den Schleudersitz des Postens eines SPD-Generalsekretärs zu begeben. Auch in Hessen kann man sich schließlich beruflich verbessern.

  3. Gut analysiert. Jetzt haben sie sie ja schon über die Klinge springen lassen.
    Ich denke auch, das Müntefering der Drahtzieher dieses Schmierentheaters ist. Müntefering, Steinmeier und Pofalla werden sich ins Fäustchen lachen.
    Zerstören aber damit die SPD endgültig.
    Um Ypsilanti kann es einem leid tun. Sie war die einzige der SPD, die auf Länderebene Zuwächse für die SPD erzielen konnte.
    Doch linke Politik ist nicht gerfragt in der SPD.
    Liebe Grüsse
    sternenschein

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