(pri) Nun ist es nur noch jämmerlich, wie der adlige Verteidigungsminister den Tod eines Bundeswehrsoldaten in Afghanistan dazu missbraucht, von seinem offenkundigen Betrug mit der »Doktorarbeit« abzulenken. Karl-Theodor zu Guttenberg, der in seiner bisherigen Amtszeit noch nichts Vernünftiges zu Ende gebracht, statt dessen aber Skandale am laufenden Band produziert hat, wehrt Fragen nach seitenweisen Plagiatstellen in »seiner« Dissertation mit der anmaßenden Bemerkung ab: »Wir stehen vor einer historischen Bundeswehrreform und ich trage die Verantwortung für die Soldaten im Einsatz, wie ein Ereignis an dem heutigen Tag einmal mehr auf bittere Weise zeigt.« Er spielte damit auf den Tod zweier weiterer Bundeswehrsoldaten in Afghanistan an – ausgerechnet in jenem Außenlager, in das zu Guttenberg vorgestern vor den Tatsachen um seine Dissertation geflüchtet war. Man hatte schon befürchtet, dass er von dort unter Verweis auf die Gefahren für die Bundeswehr am Hindukusch seine Kritiker mit der Moralkeule attackieren werde; was er sich damals noch versagte, holt er heute nach. So müssen die trauernden Angehörigen der toten Soldaten auch noch erleben, dass ihr Leid regierungsamtlich instrumentalisiert wird.
Anderes war freilich von zu Guttenberg auch nicht zu erwarten, erweist er sich doch mehr und mehr als ein Politiker, der einzig an den eigenen Aufstieg denkt und dem dazu jedes Mittel recht ist. Dieser Anspruch steht in eklatantem Gegensatz zu seinen bisherigen Leistungen – angefangen von der Fehleinschätzung des von einem Bundeswehroffizier befohlenen brutalen Angriffs auf einen Tanklastzug, die er Untergebenen anlastete, weshalb sie gefeuert wurden, über die von ihm bis heute nicht aufgeklärte Gorch-Fock-Affäre, die den Kapitän des Segelschulschiffes den Kopf kostete, über die Vertuschungsversuche beim von einem Kameraden erschossenen Soldaten in Afghanistan bis hin zu seiner Unfähigkeit, die forsch angeschobene Bundeswehrreform erfolgreich voranzubringen; derzeit fehlt es sowohl an Geld als auch an Freiwilligen, die so fragwürdigen wie ehrgeizigen Ziele des Ministers umzusetzen.
Die Affäre um seine zusammenkopierte Dissertation wäre vor diesem Hintergrund tatsächlich das Nebensächlichste, wenn sie nicht geradezu exemplarisch das Denken des Freiherrn zu Guttenberg offenbarte. Er betrachtet sich als Minister für sakrosankt, über jede Kritik erhaben und offensichtlich auch über allen Regeln stehend, die für andere selbstverständlich eisern gelten. Kritiken werden als Kampagnen abqualifiziert, Kritiker gern in die linke Ecke gestellt und die Verfehlungen des Strahlemannes als Lappalien abgetan. Dieses Muster ist freilich nicht neu. Man kennt es seit Jahren aus Italien, wo Silvio Berlusconi genau mit dieser Methode regiert und jegliche Kritik an seinen Schandtaten abzuwehren versucht. Es passt dazu, dass sich der Mailänder »Corriere della sera« sehr über die Schwierigkeiten des deutschen Verteidigungsministers verwundert: »Dass ein ähnlicher Fall in Italien solche Wellen schlagen könnte, ist nur schwer vorstellbar. Worin sich der deutsche Verteidigungsminister nun verwickelt sieht – so etwas hat in Italien noch nie einen Skandal ausgelöst. Hier ist die Vorstellung verbreitet, dass Abschreiben im Grunde genommen ein geringfügiges Vergehen darstellt. Viele empfinden es gar als zulässig.«
Zu Guttenberg versucht offensichtlich, dieses Denken und diesen Regierungsstil auch in Deutschland hoffähig zu machen – mit tätiger Beihilfe etlicher seiner Parteifreunde und der Boulevardmedien. Genau dieser Helfer hat sich auch Berlusconi bedient und bedient sich ihrer noch. Das garantierte seinen Erfolg, und das macht auch das Vorgehen zu Gutenbergs so gefährlich. In einer Zeit, wo die Öffentlichkeit in Teilen bereits so weit entpolitisiert ist, dass sie Politiker vor allem nach ihrem Herrenschneider, ihrem Friseur und ihrem eitel ausgestellten Lebensstil beurteilt statt nach ihren tatsächlichen Leistungen, hat ein Hochstapler alle Aufstiegschancen.
Dabei fehlt es den Freiherrn sogar an der Contenance, die Adlige früher gewöhnlich auszeichnete. Wer so wie er seiner Ehre verlustig gegangen war, griff in der Regel zur Pistole. Karl-Theodor zu Guttenberg aber hat nicht einmal den Mut, sich vor den Medien, die er so gern zu Gunsten seines Aufstiegs einspannte, zu seinen Verfehlungen zu bekennen.
Der „Lügenbaron“ Guttenberg wird im wichtigen Wahljahr 2011 bei den Unionsparteien eben gebraucht. Besonders bei den zahlreichen, von der Boulevardpresse in die Irre geführten „Infotainment-Bürgern“ ist der adlige Blender Guttenberg auf Stimmenfang aus. Deutschland, Italien und ihre „Verführer“ – früher Hitler und Mussolini, heute Guttenberg und Berlusconi.
an (pri)
Ihr Beitrag trifft voll zu.
Dass Guttenberg seinen Doktortitel zurück gab, war ein kluger Schachzug, da es sonst für ihn peinlich würde, wenn er ihm offiziell aberkannt wird. Respekt würde er verdienen, wenn er seiner Linie – die er bei anderen pflegt, z.B. Kapitän der Gorck Fock etc. – treu bleiben und vom Ministeramt zurücktreten würde.
Es geht hier nicht nur um ein paar Fusszeichen, sondern um Werte: Ein Plagiat ist geistiger Diebstahl!! Wird dies toleriert, sind alle die Dummen, die sich auf ehrliche Weise den Doktorentitel erwarben. In meinen Augen ist Gutti ein Krisenversager, wie viele andere auch, was bei der Pressekonferenz offensichtlich wurde: Er war zu feige, sich gerechtfertigten Fragen zu stellen!
Sein Lebenslauf soll bei Überprüfung dieser nicht standgehalten haben und Fragen aufwerfen.
Am diesem Beitrag zum „Thema des Tages“ ist nichts auszusetzen. Wir dürfen gespannt sein, wohin diese Doktorarbeit den Verfasser, seine Kritiker und seine Befürworter noch treibt. Da sind trotz des Präventivschlages des adligen Ex-Doktoranden und (noch) Verteidigungsminsters die letzten Messen lange nicht gesungen.
Wir leben wahrlich in einer spannenden Zeit, nicht nur, was die Vorgänge im Nahen Osten angeht…
Hat der Redner der Linkenfraktion im Bundestag etwa hier abgekupfert, als er auf die Konsequenzen verwies, die Adlige ehedem aus einem solchen Debakel zogen? Gänzlich lächerlich ist die von der Presse hochgelobte „Rückgabe“ des Titels, die letztlich nur wieder die anmaßende Haltung zeigt, er will Herr des Verfahrens sein, das ihn längst überholt hat -aber die Regenbogenpresse lamentiert über den angeschlagenen Superstar und die CDU kann nicht auf ihn verzichten. Glaubwürdigkeit sieht anders aus.
Der Blogbeitrag ist zwar schon einige Tage alt, dennoch gehört er kommentiert.
Natürlich begrüße ich den Rücktritt Guttenbergs.
Viele sehen in der Affäre Guttenberg den Untergang der deutschen politischen Kultur und einige nennen sogar den Namen Berlusconi als Vergleich. Die Affäre Guttenberg allerdings in einen Zusammenhang mit Italien zu stellen, das stellt eine Verharmlosung der italienischen Verhältnisse dar. Und wer so vergleicht, offenbart, dass er keine Ahnung von Italien hat.
Man sollte die Affäre Guttenberg tatsächlich mal in Relation stellen zu den italienischen Vorgängen. Zumindest die „freien“ italienischen Medien und viele Italiener sehen in der deutschen politischen Kultur ein Vorbild. Denn eine Rückritt nur wegen des Abschreibens von wissenschaftlichen Arbeiten, das ist in Italien Utopie. Italien hat ganz andere Probleme.
Siehe zu italienische Reaktion auf die Guttenberg Affäre: http://www.rivoluzion.net/2011/03/01/die-affäre-guttenberg-aus-italienischer-sicht/
und ein Radiobeitrag: http://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio64826.html
Ich wiederhole nochmals: Wer Guttenberg mit dem Regime Berlusconi vergleicht, verharmlost die gravierende Lage in Italien.
Hier nur ein paar Fakten, die Spitze des Eisbergs:
1. Von 1994 bis 2010 hat die italienische Regierung alleine für Berlusconi 37 Gesetze verabschiedet, um ihn vor seinen Prozessen zu retten. B. und seine Getreuen sind nur in die Politik eingetreten, um sich vor dem Gefängnis zu bewahren und sich zu bereichern. 1994 waren B. und seine Unternehmen hoch verschuldet. Dank guter Gesetzgebung und reichlichen Steuerentlastungen für seine Unternehmen verfügt er nun über ein Vermögen mehreren Milliarden Dollar.
2. Im italienischen Parlament sitzen mehrere Dutzend Abgeordnete, die auf eine Gefängnisvergangenheit zurückblicken können und/oder gegen die prozessiert wird. Berutti von Berlusconis PDL ist so ein Beispiel. Kürzlich ist er wieder mal zu über 2 Haft verurteilt worden. Er hat schon mehrmalige Gefängniserfahrung. Marcello dell’Ultri ist ein weiteres Exempel. Er ist einer der Schlüsselfiguren des Regimes Berlusconi, sowohl als Führungskraft in seinem Medienunternehmen als auch als Gründer und Vordenker der Partei Berlusconis. Derzeit hält er sich wieder mal im Gefängnis auf: verurteilt zu über 7 Jahren Haft wegen Mafiaverstrickungen. Gefängniskarrieren gibt es aber nicht nur in seiner Partei.
B. hat viele seiner Anwälte und Angestellten in seiner Fraktion und Regierung untergebracht.
3. B. ist sogar schon mal rechtskräftig verurteilt worden. Seit 1999 sendet einer seiner Sender illegal. Das Unternehmen Centro Europa 7 hatte diese Sendefrequenz bekommen, konnte aber nie mit einem Kanal starten, da Rete 4 illegal weitersendete. Dies ging bis zum europäischen Gerichtshof, der 2008 entschied, dass Rete 4 nicht mehr senden darf. Auch heute läuft Rete 4 noch. Die Europäische Politik und auch die SPD hat sich nie dazu geäußert.
4. Die parlamentarische Mehrheit: B. hatte letztes Jahr seine Mehrheit verloren, da sich eine Gruppe von Abgeordneten abgespalten hat. Seit dem Misstrauensvotum am 14.12. verfügt er auf wundersame Weise wieder über die Mehrheit. Abgeordnete aller Fraktionen wechselten und wechseln auf die Regierungsseite. Hier ist auch Korruption im Spiel.
5. Gesetzesvorhaben: Die Regierung plant tiefgreifende Gesetze, um sich und insbesondere B. zu retten und die Demokratie und den Rechtsstaat weiter einzuschränken. So soll unter anderem eine Justizreform verabschiedet werden und die Befugnisse von Staatsanwälten und Richtern weiter eingeschränkt werden.
6. Die Medienmacht: B. hat nahezu das Monopol auf dem TV-Markt und kontrolliert das staatliche TV politisch. Zusätzlich hat er große Anteile am Print- und Onlinemarkt. Wer der italienischen Sprache mächtig ist, kann sich vom Ausmaß der Propaganda und Zensur in Italien überzeugen.
7. In Italien gibt es eine riesige Protestbewegung. Fast täglich finden Demonstrationen statt. Die größten Proteste haben Millionen an Teilnehmer. Nur in den Medien finden diese fast gar nicht statt. Die nächste Großdemonstration wird am 13.März italienweit sein: Zur Verteidigung der italienischen Verfassung.
Staaten und Regierungen der EU schweigen zu Italien. Das ist eine Annäherung an Berlusconi, aber nicht Guttenberg. Es ist an der Zeit, dass sie Berlusconi noch mehr isolieren und sich zur italienischen Zivilgesellschaft bekennen.
@ Ben
Vielen Dank für die sachkundige Ergänzung zur italienischen Politik. Natürlich ist zu Guttenberg (noch?) nicht mit Berlusconi gleichzustellen, aber mir ging es vor allem darum, vor den Anfängen einer solchen Entwicklung wie in Italien zu warnen. Immerhin versuchte auch zu Guttenberg, sich über allgemein anerkannte Regeln zu stellen und auf einer Woge unkritischer Zustimmung aus der durch ihm gewogene Medien beeinflussten Bevölkerung nach oben zu kommen. Wäre das gelungen, hätte es durchaus den Weg zu italienischen Verhältnissen freimachen können. Noch waren hierzulande die Gegenkräfte stärker. In Italien sind sie es offensichtlich nicht, nicht zuletzt wegen des Wegsehens der EU-Staaten.