I. Erkundungen in Phnom Penh
(pri) Für die meisten Kambodschaner ist es ferne Geschichte. Die Herrschaft Pol Pots und der seinen liegt mehr als 30 Jahre zurück, aber zwei Drittel der Kambodschaner sind unter 30 Jahren alt. Sie haben das Terrorregime der Roten Khmer nie erlebt, und ihre Eltern oder Großeltern hatten wenig Neigung, über jene Zeit der Gräuel zu berichten. So ist das Genozid-Museum Tuol Sleng im Süden der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh, nahe dem Mao-Tse-Tung-Boulevard, kein von Einheimischen stark frequentierter Ort, und über dem Eingang muss gar ein Schild dazu mahnen, in den Räumen nicht zu lachen; tatsächlich könnte es sein, dass mancher der jungen Besucher, in der Gegenwart der Grusel- und Fantasystories aufgewachsen, das Ganze für eine etwas primitive Show hält – und nicht für die Wirklichkeit der 1970er Jahre.
Der Komplex aus vier mehrstöckigen Gebäuden war früher eine Schule und wurde von Pol Pot als Sicherheitsbereich »S 21« unter strengster Geheimhaltung eingerichtet, um hier Häftlinge zu verhören, zu foltern und nach ihren »Geständnissen« zur Exekution abzutransportieren. Direkte Tötungen fanden hier nicht statt, doch starben zahlreiche Häftlinge unter der Folter; die übrigen wurden in der Hinrichtungsstätte umgebracht. Bis zu 20 000 Männer, Frauen und Kinder sollen in Toul Sleng gefangen gehalten und gefoltert worden sein.
Das Museum macht noch heute einen bedrohlichen Eindruck, sind doch die schmutzig-weißen Gebäude hinter mehreren Reihen Stacheldraht, einer Mauer, mit vergitterten Fenstern, die oben zusätzlich durch Drahtnetze gegen potenzielle Selbstmörder gesichert wurden, weitgehend unverändert erhalten. Das gilt auch für die Zellen mit ihren Fliesen im Schachbrettmuster, den kahlen Wänden, Fenstergittern und spartanischen Einrichtungen, die zumeist nur aus einem eisernen Bettgestell bestanden. Hier wurden die Gefangenen mit Ketten gefesselt. In den Zellen lebten oft Dutzende Menschen; andere Zellen waren in winzige Verschläge aufgeteilt, in denen ein Mensch kaum aufrecht stehen, geschweige denn schmerzfrei liegen konnte.
Das Museum zeigt die primitiven, aber wirksamen Folterinstrumente, die Pol Pots Leute verwandten, der Maler Vann Nath, der das Grauen überlebte, stellte auf grausigen Bildern dar, wie sie angewandt wurden. Beinahe noch eindrucksvoller sind jedoch die Hunderte Fotos von Opfern und Tätern, die in den ehemaligen Zellen aufgestellt wurden – lange Reihen von Porträts, in denen sich die ganze Skala menschlicher Gefühle der Verzweiflung spiegelt: Angst, Entsetzen, Todesfurcht, Ungläubigkeit, Apathie, Gleichgültigkeit, Verhärtung, Entrücktsein, aber auch Trotz, sterbende Hoffnung und Verachtung. Junge und Alte, Männer, Frauen und Kinder, Zivilisten und Uniformierte blicken in die Kamera, die als Nachweismittel über den Verbleib der Verhafteten diente. Die Häscher in Tuol Sleng mussten jeden fotografieren, den sie aufnahmen. Wer unter der Folter starb, wurde erneut aufgenommen, um den Abschluss des Verfahrens zu dokumentieren; er könnte ja auch geflohen sein.
Dass auch Uniformträger unter den Opfern waren, ergab sich daraus, dass Pol Pot in seiner Paranoia niemandem traute und bald begann, die eigenen Leute zu verdächtigen, zu foltern und schließlich zu töten. Es gibt jedoch auch Fotos der Folterknechte, deren Ausdruck zwar oft Genugtuung, Erbötigkeit, gar hinterhältigen Spott oder auch nur unbedarfte Gleichgültigkeit spiegelt, aber ebenso – ähnlich wie bei den Opfern – Abgestumpftsein, Gleichgültigkeit und vielleicht die furchtbare Ahnung, selbst bald zum Opfer zu werden. Es sind junge Männer, die von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt wurden, kaum daran zweifelten und dennoch nicht zur uniformen Masse wurden, sondern individuelle Regungen erkennen lassen – das also, was ihnen gerade ausgetrieben werden sollte.
Nach Abschluss der »Verhöre« und dem »Urteil« wurden die Gefangenen nach Choeung Ek, den »Killing Fields« gebracht, einem von Sümpfen umgebenen Anwesen 15 km südwestlich von Phnom Penh. Hier wurden diese erst in einem »Dunkelraum« gesammelt und von dort gruppenweise zu Massengräbern geführt, an dessen Rand sie niederknien mussten. Mit Hacken, Äxten, Stöcken wurden sie erschlagen, indem man ihnen das Genick brach; den im Massengrab noch Zuckenden schnitt man mit dem Messer die Kehle durch. Man wollte auf diese Weise Munition sparen.
Da in Choeung Ek nur 30 Henker Dienst taten, schafften sie es nicht immer, die aus der Hauptstadt unaufhörlich anrollenden Transporte zu exekutieren, dann mussten die Todgeweihten die Nacht im »Dunkelraum« verbringen und wurden erst im Morgengrauen umgebracht. Damit die auf den umliegenden Feldern dann bereits arbeitenden Bauern die Schreie der Hingemetzelten nicht hörten, wurden in einen der Bäume des Lagers Lautsprecher gehängt, aus denen klassenkämpferische Lieder dröhnten. Wir konnten beim Besuch in Choeung Ek diesen »Magic Tree« sehen, einen Baum, unter dem – wie fast unter der gesamten Anlage – Massengräber liegen.
Der Ort strahlt die bekannte Beklemmung von KZ aus, die sich aus Unbegreiflichkeit und Entsetzen speist, aber hier kommt noch eine besondere Banalität des Schreckens hinzu. Unser Führer zeigte uns helle Spuren in den Wegen, über die wir gingen, helleres Gestein, weißlich-graue Kiesel, wie es schien. Tatsächlich aber sind es die Gebeine der Tausenden Toten unter der Erde, die die Füße der Besucher freigelegt haben. Auch Kleidungsreste kommen zum Vorschein, und man stellt verstört fest, dass man in Choeung Ek im wahrsten Sinn des Wortes über Leichen geht. Zwar fordern Schilder dazu auf, nicht über die Massengräber zu laufen, aber eigentlich gibt es in Choeung Ek keine Stelle, die nicht Massengrab ist
Neben einem dieser Gräber sieht man einen anderen Baum und hört, dass hier den Müttern ihre Kinder entrissen und an den Baum geschleudert wurden, bis sie tot waren – und dann in die Grube geworfen. Fast jeder Platz in Choeung Ek könnte eine solche Geschichte erzählen. In den letzten Jahren sind einige Massengräber geöffnet worden, die Überreste der Ermordeten befinden sich in einer meterhohen Stupa, einem Mausoleum, das vor allem Schädel mit den Schlagverletzungen, aber auch Knochen und Kleidungsstücke zeigt.
Man kann es den jungen Kambodschanern nicht verdenken, dass sie diese düsteren Orte meiden und sich lieber am Ufer des Tonle Sap, eines Nebenflusses des Mekong, mit ihren Altersgefährten treffen – wie überall in der Welt. Vor allem sonntags sitzen sie auf einer großen Freifläche unweit des Königspalastes in großen Gruppen zusammen, meist Familien, um zu essen, zu trinken, zu schwatzen, zu flanieren oder sich auch nur auszuruhen. Ein buntes, belebtes, aber friedliches, beinahe heiteres Bild, das nicht viel von den Problemen des Landes ahnen lässt.
Andere säumen die Uferpromenade des Tonle Sap, der im Februar, in der Trockenzeit ziemlich flach ist. Jetzt fließt sein Wasser in den Mekong ab, der es mit hinunter ins Delta trägt. In der Regenzeit ab Juni drückt der Mekong jedoch seine Wassermassen in den Tonle Sap hinein. Er füllt sich und überschwemmt weitflächig das Uferland. Dicht am Ufer zahlreiche Gebäude, die noch an die französische Kolonialzeit erinnern, vor allem Hotels und Restaurants. Darunter auch der berühmte Korrespondentenclub FCC, von dessen Balkonen im 2. Stock man einen schönen Blick auf den Tonle Sap und seine Mündung in den Mekong hat und der während des Vietnamkrieges als Anlaufpunkt und Informationsbörse für die Kriegsberichterstatter diente.
Die bedeutendste Sehenswürdigkeit Phnom Penhs ist der Königspalast mit seinem Umfeld. Seit dem Jahr 1993 ist Kambodscha wieder ein Königreich, genauer eine konstitutionelle Monarchie. Der Palast liegt nahe des Tonle Sap und teilt sich in zwei Bereiche – den offiziellen Teil, der teilweise unzugänglich ist, weil sich dort Amtsräume des Monarchen befinden. Und das Areal der Silberpagode, das als buddhistische Begräbnisstätte für die Monarchen fungiert. Den offiziellen Teil dominiert die Thronhalle, in der – wie in allen Gebäuden des Palastes – fotografieren streng verboten ist, weil man auskundschaftende Diebe fürchtet. Der Thron selbst wird auf der einen Seite von einem Buddha flankiert, auf der anderen von einem Soldaten mit Gewehr, was ungewöhnlich erscheint, jedoch die Widersprüche der kambodschanischen Geschichte in gewisser Weise auf den Punkt bringt. Interessant sind einige Details, so ein kleiner Pavillon, von dem der (in der Regel körperlich kleine) König den Elefanten bestieg, um sich seinem Volk zu zeigen. Auch ein anderer Pavillon hat seine eigene Geschichte: Die Napoleon-Villa war ursprünglich am Suezkanal errichtet worden, um bei dessen Einweihung der französischen Kaiserin als Unterkunft zu dienen. Danach zerlegte man sie, um sie dem König von Kambodscha zum »Geschenk« zu machen.
Über einen Durchgang erreicht man die Silberpagode, deren Boden mit mehr als 5000 Bodenfliesen aus Silber belegt ist. In ihr thront die heiligste Figur Kambodschas – der Phra Ke, eine grüne Buddha-Figur aus Smaragd. Nicht weit davon entfernt befindet sich eine nahezu lebensgroße Buddhafigur aus purem Gold, die mit mehr als 2000 Diamanten besetzt ist. Hier offenbart das bettelarme Kambodscha eine erstaunliche Prachtentfaltung des alten Khmer-Reiches, und die Schutzmaßnahmen vor Dieben werden durchaus verständlich. Als ich doch versuchte, davon ein Bild zu erhaschen, gebot mir ein Wächter unmissverständlich Einhalt und verlangte den Film zu sehen – mit der Aufforderung, die verbotenen Stellen zu löschen. Etwas besänftigen konnte ich ihn nur dadurch, dass ich ihm zeigte, was ich alles außerhalb der Pagode – erlaubterweise – gefilmt hatte. Dazu gehörten die Reiterstaue von König Norodom, die gewaltigen Stupas der Königsfamilie und die Außenwand des Geländes, auf der das Ramayana-Epos malerisch verarbeitet ist.
Tief eintauchen in die kambodschanische Geschichte kann man im Nationalmuseum, jedoch ist es schwierig, sich zwischen Vishna, Shiva, Brahma und allerlei Nebengöttern und Priestern zurechtzufinden. Nicht ganz so kompliziert ist dies mit Wat Phnom, dem Wahrzeichen der kambodschanischen Hauptstadt, einer Pagode auf einem künstlichen Hügel inmitten der Stadt. Hier herrscht reges touristisches Leben, denn der Berg ist ein beliebter Flanierplatz der Hauptstädter; auch auf Elefanten kann man hier reiten. Wir stiegen die teilweise ziemlich steilen Treppen hinauf, konnten jedoch im Menschengewimmel nicht alle Sehenswürdigkeiten tatsächlich würdigen. Hier jedoch soll Phnom Penh entstanden sein.
Ähnlich trublig geht es auf den Märkten Phnom Penhs zu, vor allem auf dem so genannten Russenmarkt, der eigentlich richtiger Touristenmarkt hieße. Hier gibt es in bedrängender Enge all das, was Touristen gern in Kambodscha kaufen. Und die Verkäufer, die hier samt Familien den ganzen Tag verbringen, liefern dazu aufschlussreiche Einblicke in Mentalität und Lebensweise eines rätselhaftes Volkes in einem immer noch rätselhaften Land. Es weiter zu erkunden, verließen wir Phnom Penh zunächst noch einmal in Richtung Mekong – entlang der eindrucksvollen Uferpromenade mit der buddhistischen Architektur des Königspalastes im Hintergrund.
Danke für den interessanten Bericht; vielleicht folgen noch einige?
Ich habe so gar keine Vorstellung, wie die Menschen in Kambodscha heute leben, wie „frei“ oder „demokratisch“, und ob sie sich satt essen.
Und: wie hast Du die Besichtigung des Foltermuseums nur ausgehalten?…
@ eule70
An der Fortsetzung wird gearbeitet..